Im Gespräch
Islam
29. 9. 2017 / Von Klaus Zeyringer
Ein vielschichtiger Abend zu einem vielschichtigen Thema: Marwan Abado, Hamed Abboud, Karim El-Gawhary, Maynat Kurbanova und Najem Wali bei "Transflair"
Diesmal setzt "Transflair" - es ist der 60. Abend der Serie - im Saal voll gespannter Gesichter mit Musik ein, den "richtigen falschen Tönen" seiner Oud, wie Marwan Abado erklärt: Auf der arabischen Laute müsse man intensiv üben, um diese für westliche Ohren falsch klingenden Töne richtig zu spielen. Seine Erklärung mag geradezu parabelhaft für die Situation im Orient und die Reaktionen im Okzident erscheinen.
Marwan Abado ist in einem Flüchtlingslager in Beirut geboren, er stammt aus einer christlich-palästinensischen Familie. 1985 flüchtete er nach Österreich, seither ist er mit den renommiertesten Könnern aufgetreten und hat mehrere CDs aufgenommen. Ein Journalist charakterisierte seine Musik, sie sei "weit wie die Wüste, prall voll mit Leben und Geheimnissen wie üppige Oasen". Weniger blumig ausgedrückt: Sie stützt sich auf die klassische Form arabischer Musik und schafft einen Brückenschlag zwischen Orient und Okzident.
Brückenschlag, das ist das Konzept von "Transflair", diesmal passend zur Islam-Ausstellung auf der Schallaburg. Seit einigen Jahre und immer mehr ist in Europa vom Islam die Rede, keine Wahlkampfdebatte ohne "politischen Islam" - meist wenig kundig. Auf dem "Transflair"-Podium sitzen hingegen Kundige, die sich in der Welt des Islam auskennen und auch in der Welt der Sprachkunst. Sie vermögen zentrale Fragen tiefgreifend zu erörtern: Von welchem Islam reden wir, von welchen der vielen Strömungen und Facetten? Welche historischen und kulturellen Hintergründe gilt es zu bedenken? Wie steht es - von Österreich aus betrachtet - mit den Begegnungen zwischen Kulturen und Religionen? Wie ist denn heute die Situation der Frauen in diversen Ländern des Islam? Bestehen Zusammenhänge zwischen dieser Religion und Krieg?
All dies ist in Leben und Literatur von Hamed Abboud verknüpft. Er ist in Syrien geboren, in Aleppo hat er 2012 seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Als der Krieg ausbrach, hätte ihm ein einziger Satz zum Verhängnis werden können. Hamed flüchtete, drei Jahre brauchte er bis Wien. "Die Strecke von der Tür meines letzten Zimmers zur Tür meines ersten Zimmers beträgt 3151 Kilometer", schreibt er in seinem kürzlich auf Deutsch und Arabisch erschienenen Band Der Tod backt einen Geburtstagskuchen. Daraus liest er den zu tiefst beeindruckenden Prosatext Ich möchte einen Panzer fahren, in dem der Krieg alles bestimmt - Gott ist aus der Luke des Panzers nicht zu sehen. "Exil bedeutet, dass da Glas ist zwischen dir und der Welt", sagt Hamed Abboud.
Zum Gespräch sitzen nach einem wunderbaren Oud-Intermezzo Karim El-Gawhary, Najem Wali und Maynat Kurbanova auf dem Podium. Kurbanova kommt aus dem tschetschenischen Grozny, erhielt für ihre journalistische Arbeit, u.a. für Francepress und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2003 den Sacharow-Preis, wurde heftig bedroht, verließ Russland und lebt nun in Wien, wo sie für Zeitungen wie die Süddeutsche schreibt und Islamwissenschaft studiert. "Es ist nicht angenehm, Tschetschenin in Österreich zu sein", sagt sie. Die Stigmatisierung wirke früh, die häufigste Frage von Dreizehnjährigen sei: "Warum hassen alle die Tschetschenen, die Muslime, die Ausländer?"
Najem Wali stammt aus dem Irak, unter Saddam Hussein wurde er inhaftiert. Nach seiner Flucht studierte er in Hamburg und Madrid, er schreibt für eine arabische Zeitung und für die deutsche Presse, die meisten seiner Romane und Berichte erscheinen im Hanser-Verlag: 2008 der Roman Jussifs Gesichter über ein verfeindetes Brüderpaar in Zeiten von Diktatur und Krieg; 2014 Bagdad Marlboro über den Irak nach dem US-Einmarsch, mit Rückblicken bis zum irakisch-iranischen Krieg. Im Residenz-Verlag publizierte Wali 2016 Im Kopf des Terrors. Vom Töten mit und ohne Gott.
Karim El-Gawhary leitet seit über zehn Jahren das Nahost-Büro des ORF in Kairo. Geboren ist er in München, in Berlin hat er Islamwissenschaft und Politologie studiert. Seine einlässlichen TV-Berichte haben ihm den Concordia-Preis und die Wahl zum Auslandsjournalisten des Jahres 2012 eingetragen. Er hat ein Tagebuch der arabischen Revolution verfasst, mit Mathilde Schwabeneder 2015 Auf der Flucht. Reportagen auf beiden Seiten des Mittelmeers, wo es heißt: "Irgendwann in den letzten 40 Jahren im Zweistromland geboren worden zu sein, ist wahrlich ein Fluch".
Auf dem "Transflair"-Podium verweist er auf die historischen Überlieferungen und Errungenschaften der arabischen Welt, die man dort auch hochhalte, "die guten alten Zeiten", um das Heutige vergessen zu machen. Im Sinne des Orientalismus habe der Orient immer den Spiegel für den Okzident dargestellt: "Wenn ich über meine eigenen Errungenschaften reden will, brauche ich ein Gegenbild auf der anderen Seite."
Vor allem aber betont El-Gawhary auf die große Vielfalt des Islam: Man müsse zunächst überhaupt erst einmal feststellen, welchen Islam man meine. "Den Islam als solchen gibt es nicht"; deswegen sei es so schwierig über das Thema zu reden. So habe es beispielsweise im iranischen Parlament nach der Revolution Gruppierungen von links bis rechts gegeben, die sich alle im Rahmen des Islam legitimieren mussten - und über Landreform und Verstaatlichung mit je anderen Koranstellen ihr Für oder Wider argumentierten. "Ich finde es witzig, wenn die Leute hierzulande meinen, sie müssten den Koran lesen um zu wissen, was in der arabischen Welt passiert. Sie müssten ein Geschichtsbuch aufschlagen und Nachrichten rezipieren."
"Islamismus" auf Wahlplakaten
Der ORF-Korrespondent war wenige Stunden zuvor auf dem Flughafen Wien angekommen und überrascht worden, wie oft das Wort "Islamismus" auf den Wahlplakaten auftauche. "Worüber würden wir denn in diesem Land diskutieren, wenn statt vielen Irakern, Syrern und Afghanen zum Beispiel mehrere Hunderttausend schwarzafrikanische Christen gekommen wären? Würden wir hier eine Veranstaltung über den Islam machen oder würden wir über Hautfarben reden?"
Er halte es für eine makabere Geschichte, pflichtet Najem Wali bei, dass es überall in der EU offenbar keine anderen Probleme gäbe als die Flüchtlinge. Die würden nun unter ganz anderen Bedingungen kommen als er bei seiner Flucht aus Saddams Regime und dem völlig abgeschotteten Irak, bis 2003 ohne Fax, ohne Handy, ohne Satelliten - ausländische Journalisten mussten mitunter damals ihre Schreibmaschine am Flughafen abgeben. "Als ich nach Deutschland kam, war es mein Traum eine Schreibmaschine zu besitzen, nicht ein iPhone."
Tatsächlich, sagt Wali, seien die gängigen Bilder über die islamische Welt völlig reduziert, etwa über "Frauen, die nicht Auto fahren dürfen. Wo gibt es das? In Ägypten? In Malaysia? Im Irak? Im Libanon? Nein, nur in einem Land". Über Saudi-Arabien und den Wahhabismus schreibt er in seinem Buch Im Kopf des Terrors: "Bis zum Aufkommen dieser radikalpietistischen Bewegung gab es auf der arabischen Halbinsel eine große Bandbreite von islamischen Konfessionen und Ausrichtungen". Und es gäbe keinen Wahhabismus ohne Terror, keinen Terror ohne Wahhabismus. Es ist ein Paradox, so El-Gawhary: "Eines der erzkonservativsten Länder und das frauenfeindlichste Land der Welt ist unser wichtigster Verbündeter in der Region. Wenn wir die arabische Welt und den Islam als Problem erleben, muß uns klar sein, dass wir selbst ein Teil des Problems sind."
Mehr Moslems in Asien
Ja, sagt Maynat Kurbanova, auch sie sei immer wieder damit konfrontiert, dass der Islam mit Saudi-Arabien und anderen Ländern des Nahen Ostens gleichgesetzt werde. Dabei leben die meisten Moslems gar nicht in der arabischen Welt, sondern in Asien. Dass Saudi-Arabien, der "Partner des Westens", eine derart dominante Rolle in den verkrusteten Vorstellungen spiele, sei vor allem dem Geld geschuldet, betont El-Gawhary, mit dem Geldfluß aus den Golfstaaten sei der Islam in Ägypten konservativer interpretiert worden. Wali fügt hinzu, dass ja die Ägypter Vorreiter in der Filmproduktion gewesen seien, "dann haben sie den Markt der Golfstaaten entdeckt" und extra Serien gedreht, die sich an die dortigen extrem konservativen Regeln halten mussten - das habe sich auf alle anderen Drehbücher ausgewirkt; bestimmte Szenen, etwa Eheleute zugedeckt im Bett, seien verpönt worden.
Vor zwanzig Jahren, erklärt Kurbanova, habe man in Tschetschenien die Wort Hidschab nie gehört, auch nicht Dschihad: "obwohl wir seit Jahrhunderten mit Russland kämpfen!" Mit den ersten paar Freiwilligen aus dem arabischen Raum seien diese Konzepte gekommen.
In Ägypten sitzen sechzigtausend Menschen aus politischen Gründen im Gefängnis, das ist eine Brutstätte der Radikalität.
Ein genauer Blick auf die Umstände, etwa auch auf die unterschiedlichen Situationen der Frauen in verschiedenen Ländern sei nötig, von extremer Einschränkung in Golfstaaten bis zu liberalen Entwicklungen in Tunesien. Was die Frauen aus Tschetschenien betreffe, sagt Maynat Kurbanova, so würden sie sich im österreichischen Exil strenger kleiden und eine strengere Form des Islam pflegen als zuvor in Tschetschenien, da sie hier in einer eigenen Community angekommen seien, in der die konservativen Männer sich von der Umwelt bedrängt und observiert fühlen, folglich stärkeren Druck auf Frauen, Töchter und Schwestern ausüben.
Wer interpretiert Religion? Ausschließlich Männer. Immerhin geht nicht jegliche Entwicklung in die gleiche Richtung. Eine interessante Entstehungsgeschichte bietet das neue Gesetz in Tunesien, dass Frauen soviel erben wie Männer und die Vielehe abgeschafft worden sei - beides mit Argumenten aus den Schriften des Islam.
In seinem Buch Frauenpower auf Arabisch hat Karim El-Gawhary einen deutlichen Satz geschrieben: "Die Unterdrückung der arabischen Frau ist ein gutes Geschäftsmodell."
Mit anderen Tönen klang dieses "Transflair" aus, Marwan Abado entlockte sie seiner Oud, deren Bezeichnung die Wurzel unseres Wortes "Laute" ist.
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